Gletscherkurs in der Silvretta
08.-11. Juli 1999

Von Peter Gebel

Mit Steigeisen über Stock und ... EisAls Kursziel galt es, leichte Gletscher und leichtes kombiniertes Gelände selbständig begehen zu können. Unter der Leitung von Hans Sterr und Michael Grötsch vom Alpenverein Erding konnte die begrenzte Zahl von 8 Teilnehmern an dieser Veranstaltung teilnehmen. Voraussetzung für die Praxisausbildung am Berg waren Trittsicherheit, Schwindelfreiheit, alpine Erfahrung, Kondition für 7-8 Stunden Tour und Ausbildung täglich; weiterhin steigeisenfeste Bergschuhe sowie die für Unternehmungen dieser Art übliche Ausrüstung. Außerdem war die Teilnahme an zwei Theorieabenden vorgeschrieben, bei denen unverzichtbare Grundkenntnisse in Knoten und Sicherungstechnik, die Orientierung mit Karte, Kompass und Höhenmesser und Wetterkunde vermittelt wurden. Die 3 1/2 tägige Praxisausbildung beinhaltete Tourenplanung, Gehen in Firn und Eis, richtiges Sturzverhalten, Umgang mit Pickel und Steigeisen, Sicherungstechnik der Seilschaft und die Grundtechnik der Spaltenbergung. Als Touren waren geplant: Dreiländerspitze (3197 m), Silvrettahorn (3244 m) und Piz Buin (3312 m). 

Donnerstag, 8.7.99
Am Donnerstagnachmittag um 14 Uhr fuhren wir vom Parkplatz S-Bahn-Station Altenerding vollbepackt mit 2 Fahrzeugen und je 5 Mann (Frau) Besatzung los. Über die Garmischer Autobahn und den Fernpass Richtung Silvretta führte der Weg durch den Talort Galtür, der durch das Lawinenunglück im Frühjahr 1999 traurige Berühmtheit erlangt hat. Sowohl auf der einzigen Zufahrtsstraße dorthin wie auch in Galtür selbst waren noch deutliche Schäden an den Bergwaldflächen und zerstörte Häuser im Ort zu sehen. Um 18.15 Uhr kamen wir auf der Bielerhöhe am Silvrettastausee an. Mit vollem Marschgepäck (ca. 18 kg) ging es los zur Wiesbadener Hütte (2443 m). Unsere konditionsstarke und hochmotivierte Truppe bewältigte die laut Führer angesetzte normale Gehzeit von 2 Stunden und Differenz von 407 Höhenmetern in 1,5 Stunden. Bei der Ankunft auf der komfortablen Hütte gab es dafür auch gleich ein Riesenlob von einem unserer Fachübungsleiter. Unser erstes Ziel war erreicht, wir bezogen erst mal unsere Zimmer, machten uns etwas frisch und freuten uns auf unser Abendessen. Später wurde für die nächsten Tage in Firn und Eis noch etwas Theorie gepaukt. 

Freitag, 9.7.99 
Leider hatten wir kein Glück mit dem Wetter, es herrschte Nebel und nieselte. Kurzfristig wurde nach dem Frühstück improvisiert und wir übten noch anhand einer Check-Liste das Erstellen eines Tourenplanes. Um 9.30 Uhr konnte uns nichts mehr halten - "richtiges Ausbildungswetter". Die Truppe nahm es mit Humor, "denn bei schönem Wetter kann es ja jeder". Auf dem Vermunt-Gletscher bei ca. 2600 Höhenmetern war ,"richtiges Gehen im Firn" angesagt. Auch das muss erst gelernt werden. Das Eindrehen von Eisschrauben mittels Pickel wird geübt und wir bewegen uns mehr kriechend als gehend unter Einsatz des Eispickels, als gelte es die Vertikale im Eis zu bezwingen, vorwärts. FrontalzackentechnikSo aufgelockert, bildeten wir zwei Seilschaften zu je 5 Personen. Man klinkte sich am HMS-Karabiner ein, befestigte die Prusikschnüre und wir brachen zum Ochsenkar (2900 m) auf. Bei schlechter Sicht verloren wir die 2. Seilschaft und blieben am vereinbarten Treffpunkt allein. Nach einer kurzen Pause wurde die geplante Spaltenbergung wegen der schlechten Witterung verschoben und wir traten den Rückzug an. Die 2. Seilschaft kam erst einige Zeit nach uns bei der Hütte an. Wie sich später beim Studieren der Karte zeigte, hatte sich unsere Seilschaft trotz Karte und ständiger Orientierungsmaßnahmen an einem ganz anderen Punkt als dem Treffpunkt auf dem Gletscher befunden. Wir können es nicht glauben!! 

Samstag. 10.7.99 
Wieder herrschte kein besonders gutes Wetter, etwas nebelig und Nieselregen. Um 8 Uhr Aufbruch zur Dreiländerspitze ( 3197 m). Die am Vorabend ausgelosten 2 Seilschaften zogen unter häufiger Positionsbestimmung links vorbei an der "Grünen Kuppe", "Silvrettahorn", "Signalhorn" und "Piz Buin". In Serpentinen und teilweise bei über 30 Grad Steigung wurde über einen Firnhang zur Dreiländerspitze aufgestiegen. Wegen schlechter Wetterverhältnisse und rutschigem Fels am Ausgang des Firnhanges in 3105 m Höhe mussten wir umkehren. Auf der Ochsenscharte legten wir eine Mittagspause ein.

SpaltenbergungAnschließend übten wir in wechselnden Positionen die Spaltenbergung, zuerst im flachen Gelände, und dann wurde es ernst. Jeder sprang einmal rückwärts in einen ca. 15 m senkrecht abfallenden Schneekolk. Nach 6 m freiem Fall hing man dann in den Seilen und die anderen durften einen wieder rausziehen. Alle waren total begeistert, und unter der fachkundigen Leitung unserer beiden Führer wurde jeder Handgriff geübt, bis er saß. Die Fotoapparate wurden jetzt gezückt, jeder wollte sein "Action-Foto" vom Sturz und der Bergung. In den kurzen Pausen bestimmten wir mit Bussole (Kompass) und Gebietskarte unsere Position. Am Spätnachmittag standen weitere Sturzübungen mit und ohne Pickel im Firnhang auf dem Plan. Gaudihalber und unter großem Gelächter rutschten wir zum Schluss nochmals eingehakt auf dem Hosenboden in ein großes Gletscherschmelzloch hinunter. 

Nach dem Abendessen ging es wieder zur Sache. Wir durften anhand von Checklisten selbständig eine Tour für den nächsten Tag planen. Unsere Führer wollten zwar nicht mehr eingreifen, gingen jedoch jeweils in einer Seilschaft mit. Es folgte die Auslosung der Seilschaften, Festlegung der Streckenabschnitte, Führungswechsel, Pausen, Zeitvorgaben, Zeitpunkt zur Umkehr bei Nichterreichen des Zeitplanes, Aufteilung der Ausrüstung wie Biwaksack, Erste Hilfe etc. So vorbereitet gab's in heiterer Runde noch ein Gläschen Rotwein und ab 22 Uhr Hüttenruhe.

Sonntag. 11.7.99
Um 5 Uhr morgens standen wir planmäßig auf; und es herrschte herrlichstes Sonnenscheinwetter. Das Zimmer wurde geräumt, nicht benötigte Ausrüstung wurde vorübergehend im Hüttenschlafsack deponiert. Nach dem wie üblich ausgiebigen Frühstück versorgten uns die freundlichen Hüttenwirtsleute noch mit Marschtee, es folgte das Anlegen der Gurte und die Überprüfung der Ausrüstung. Um 7 Uhr hieß es Abmarsch. 

Bei strahlend blauem Himmel gingen wir wieder unterteilt in zwei Fünferseilschaften nach festgelegter Route los. Der Weg führte uns zuerst über die Grüne Kuppe zum Ochsentaler-Gletscherbruch, seitlich rechts vorbei an einem steil abfallenden Eisbruch und dann wieder steiler den Gletscher hinauf über viele schmale, querverlaufende Gletscherspalten über aperen Firn, vorbei am Silvrettahorn (3244 m), Egghorn (3417 m), Signalhorn (3201 m), Kleiner Piz Buin ( 3256 m) zur Buinlücke. Nach einer kleinen Brotzeit und Trinkpause wurde die bisherige Tour mit unseren Fachübungsleitern nochmals reflektiert. Fehler und mögliche Alternativen der bisherigen Route wurden besprochen, das Tempo und die Schrittart des jeweils Seilersten in der Seilschaft wurden kameradschaftlich und ehrlich diskutiert. 

Dann folgte der Aufstieg zum Piz Buin, quer über einen Firnhang unter Einsatz des Pickels; später über eine ausgesetzte Felsstufe mit einer Rinne. Da diese Rinne hier vereist und steil war, mussten wir nochmals umkehren und an geeigneter Stelle unsere Steigeisen anlegen. Unter der geschickten psychologischen Betreuung unseres Seilschafts-Leiters Michael Grötsch schafften wir auch diese Schlüsselstelle mit Bravour. Nach dem Ablegen der Steigeisen ging es dann auf dem weniger steilen Rücken des Berges leichter bis zum Gipfel des Piz Buin (3312 m). Bei herrlichstem Wetter und gigantischem Ausblick auf die großartigen Berge der Silvretta sieht man hinüber bis zur Bernina mit Piz Palü, Richtung Bergell mit Piz Linard und Richtung Albula mit Piz Calderas. Nach dem obligatorischen Gipfelfoto und ½ Stunde Aufenthalt verschlechterte sich das Wetter zusehends und wir mussten wieder absteigen. Der Abstieg wurde mit einigen Klettereinlagen der Schwierigkeitsstufe 1-2 und der Unterstützung unserer Führer leicht gemeistert. Am Fuß des Berges ging es nach einer kurzen Trinkpause und dem Anseilen auf der gleichen Route wieder zurück zur Hütte. 

Kaum waren wir dort angekommen, fing es auch schon zu regnen an. Das hieß wirklich gute Planung! Da wir beim Aufstieg 1 Stunde länger gebraucht hatten, mussten wir diese Zeit beim Abstieg wieder aufholen. Am Silvretta-Stausee setzten wir mit dem letzten Boot über zur Bielerhöhe, wo wir unsere Fahrzeuge geparkt hatten. Dort hieß es zum letzten Mal im Kreis aufstellen. Auf Kommando nach rechts umdrehen, rechte Hand auf die rechte Schulter des Vordermannes und ... fest klopfen: Gut hast du es gemacht! Zum Abschied gibt's noch mal ein herzliches Gelächter und ein dickes Lob von unseren Führern, das alle Mitglieder der Gruppe aus vollem Herzen erwidern.

Tourenleitung:
Hans Sterr, Michael Grötsch
Teilnehmer:
Doris Püschner, Marcus Ullrich, Alex Linke, Peter Gebel, Florian Stark, Marcel Böhm, Sabine Sautter, Christian Harrer