Hochtouren in der Bernina

30. Juli - 5. August 2004

Von Sabine Sautter

   
Bernina! Gletscher mit Spaltengebirgen, die Coaz-Hütte, die so nah am Gletscher liegt, dass es keine ewigen Moränenhatscher gibt. Und ein phänomenaler Wetterbericht!
 

Blick von der Fuorcla Surlej

Ab St. Moritz / Surlej fahren wir mit der Corvatsch-Bahn hinauf zur Mittelstation Murtel (2699m). Auf der Fuorcla Surlej (2755m) steht ein Gasthaus, gerade richtig für eine Mittagsrast. Mit wenig auf und ab geht es heute nur bis zur Coaz-Hütte (2610m), unserem Quartier für die nächsten Tage. Aufgereiht stehen sie da, unsere Berge: Il Chiapüt-schin, Piz Glüschaint, Piz Sella, Piz Morteratsch. Dazwischen der beeindruckende Piz Roseg, auf dem wir immer wieder Seilschaften sehen werden. Nicht unsere Liga.

Unsere Eingehtour führt auf den Chapütschin (3386m). Es sind nur 776 Hm, das beschert uns eine sagenhafte Frühstückszeit: 7 Uhr! Gesprächsbeteiligung und Humorpegel sind deutlich höher als in den nächsten Tagen. Ein sonniger Tag erwartet uns und ein "zahmer" fast ohne Spalten. Eine lange, sonnige Gipfelrast, und beim Abstieg wiederholen wir die Grundbegriffe der Spaltenbergung. Toter Mann, Ankerstich und Prusikknoten, Rücklaufsperre ... man muss es einfach immer mal wieder tun.

Am Gipfel des Chapütschin

Wilde Gletscherbrüche am Glüschaint

Auch für den Piz Glüschaint (3594m, 984 Hm) haben wir sonniges Wetter und dazu noch recht gute Verhältnisse zum Gehen. Frühstück um 5 Uhr bei deutlich geringerem Gesprächs- und Humorpegel. Es ist noch dunkel, ein heller Morgenstern leuchtet durchs Fenster. Schweigend steigen wir vor der Hütte in unsere Gurte. "Alles dabei? Pickel, Steigeisen, Gletscherbrille, Handschuhe? Gut. Gehma." Langsam wird es hell, ein Wolkenfeld über dem Piz Roseg leuchtet morgenrot. Die aufgehende Sonne taucht den Gletscher in ein mattes gelbes Glitzern und die kurze Nacht ist vergessen. Es geht über ein Stück aperen Gletscher und Firnfelder und bald wird deutlich, warum ausgerechnet der Piz Glüschaint als Königsetappe der Coaz-Berge gilt: Wir laufen durch einen Gletscherbruch, eine wild zerklüftete Eislandschaft.

Spaltenschlünde, darüber türmen sich Eisgebirge - ein Gebirge im Gebirge. Der Bruch ist etwas kompliziert zu überwinden, man muss aufpassen, aber gleichzeitig möchte ich nur schauen. Dann geht es recht steil über ein paar schmale Brücken, den Pickel können wir hier gut brauchen. Danach noch ein relativ steiles Firnfeld und wir stehen auf der Fuorcla dal Glüschaint. Von dort soll es im Fels noch ca. 80 Hm zum Gipfel gehen, aber die Seilschaft vor uns kehrt um. Das Firnfeld, das zum Feld führte, ist so stark abgeschmolzen, dass eine kaum überwindbare Steilstufe entstanden ist. Heute also kein Gipfel, Rast auf der Scharte. Schade! Aber der variantenreiche Auf- und Abstieg durch die Eislandschaft sind wohl das eigentliche Highlight. Wir sind recht früh zurück (ca. 14 Uhr). Auf der Coaz-Hütte sitzt sich's gemütlich. In der Sonne dösen, ratschen und die kulinarische Seite der Schweiz testen: Nusstorte, Café fertig, Chrüter ... Und immer wieder schauen.

Steilstück im Aufstieg zum Glüschaint

Coaz-Hütte

Ein Wort zur Coaz-Hütte: Sie ist gemütlich, mit ausgesprochen schönem Blick auf Sella- und Roseg-Gletscher, ins Val Roseg und mit kurzen Zustiegen zu den Gletschern. Als wir ankommen, kocht Alois, der Wirt, bei Wagner-Musik. Er war 25 Jahre lang leitender Beamter, jetzt managt er seine Hütte und versucht sich auch mal mit Events wie dem "Sonnenaufgang" von Haydn, life auf der Hütte - bei Sonnenaufgang.

Der Piz Sella (3511m, 1140 Hm) am nächsten Tag wird eine besondere Herausforderung was Hans' Spürsinn im Spaltengewirr anbelangt. Am Tag vorher hatte schon ein Bergführer gesagt "da hat's ganz schöne Mulden drin", eine nette Umschreibung. Der Weg, den wir vor 3 Jahren bei einer Sektionstour gegangen sind, ist nicht mehr begehbar. Leider ist der Schnee auch morgens schon recht weich, und wir können nicht jeder Brücke trauen. Ein paar Mal müssen wir umkehren, aber Hans findet sich durch (meine Bewunderung!) Zum Schluss geht es über eine lange Schneekuppe, an deren höchstem Punkt jemand ein paar Holzscheite aneinander gelehnt hat: das ist das Gipfelkreuz. Außer uns ist nur eine andere Seilschaft hier, die von der italienischen Seite kam. Man kann nicht sagen, dass der Piz Sella viel begangen wäre.

Im Aufstieg zum Piz Sella

Seilbrücke auf dem Weg zur Tschierva Am Dienstag wechseln wir zur Tschierva-Hütte (2583 m, 550 Hm). Wir steigen ab durch einen Murmeltierhang, der obendrein fast alles beherbergt, was in einem Alpenblumenbuch zu finden ist. Es geht hinunter zum Lej da Vadret, einem milchig-trüben Gletschersee mit schwimmenden Eisbrocken. Kurz nachdem sein Abfluss mit dem des Tschierva-Gletschers zusammentrifft, überqueren wir den brausenden Fluss auf äußerst witzige Art: Zur anderen Seite ist ein Drahtseil gespannt, daran hängt eine Metallkonstruktion mit Sitz, Haken für den Rucksack und Rückholseil. Einer nach dem anderen hangeln wir uns so hinüber. Was für ein Spaß, der uns obendrein den langen Weg zum Hotel Roseg erspart, wo die erste Brücke wäre. Die Tschierva-Hütte allerdings ist gewöhnungsbedürftig: Ein Anbau aus Beton und Holz macht sie recht ungemütlich. Aber die guten Rösti versöhnen uns wieder etwas.

Unsere letzte Tour steht an, der Piz Morteratsch (3751 m, 1180 m). Mittags soll das Wetter schlechter werden, deshalb starten wir um 5.30 Uhr. Heute gibt's einen steilen Anstieg über eine Moräne, etwa 500 Hm, anfangs gleich mit Leiter. Dann wenig steil über das teils aperes Becken des Tschierva-Gletschers. Ab der Bovalscharte wird's über den Grat wieder steiler. Ein Bergschrund mit Spaltenblick, sonst geht es sich recht problemlos. Die letzten 300 Höhenmeter müssen wir das Tempo anziehen, denn es kommen schwarze Wolken und in der Ferne scheint es zu grollen. Biancograt und Piz Palü bleiben leider in den Wolken. Schade, auf diesen Blick hatten wir uns gefreut. Mit sehr wenig Pause und zügig geht es zurück zur Hütte. Schade um den Blick, aber wir waren oben.

Am Gipfelgrat des Piz Morteratsch
   
Und das war's dann auch. Am Donnerstag geht’s zurück nach St. Moritz durch das ewig lange, aber schöne Val Roseg. Bei diesem Gelände kann man noch mal ausgiebig ratschen. Danke an eine absolut nette und harmonische Gruppe und - wie immer - an Hans. Du bist nie unvorsichtig, aber Du verdirbst einem auch nie den Spaß, im Gegenteil!
 
Dabei waren: Marcel Böhm, Claudia und Wolfram Honsberg, Moni Hofer, Erich Schulze, Sabine Sautter (Tourenbericht), Hans Sterr.